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Poem: Der Erlkönig by Goethe

Berlin. Photo by Scarlett Messenger
Berlin. Photo by Scarlett Messenger

Erlkönig
von J.W. Goethe

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.

«Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?» –
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? –
«Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.» –

«Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand.»

Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,

Was Erlenkönig mir leise verspricht? –
«Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind.» –

«Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn,
Und wiegen und tanzen und singen dich ein.»

Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort

Erlkönigs Töchter am düstern Ort? –
«Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau.»

«Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.»
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! –

Dem Vater grausets, er reitet geschwind,
Er hält in Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.
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Poem: Der Wanderer in der Sägmühle by Kerner

Tiergarten, Berlin. Photo by Scarlett Messenger
Tiergarten, Berlin. Photo by Scarlett Messenger

Der Wanderer in der Sägmühle

Justinus Kerner (1786 – 1862)

Dort unten in der Mühle
Saß ich in süßer Ruh’
Und sah dem Räderspiele
Und sah den Wassern zu.

Sah zu der blanken Säge,
Es war mir wie ein Traum,
Die bahnte lange Wege
In einen Tannenbaum.

Die Tanne war wie lebend,
In Trauermelodie
Durch alle Fasern bebend
Sang diese Worte sie:

Du kehrst zur rechten Stunde,
O Wanderer, hier ein,
Du bist’s, für den die Wunde
Mir dringt ins Herz hinein!

Du bist’s, für den wird werden,
Wenn kurz gewandert du,
Dies Holz im Schoß der Erden
Ein Schrein zur langen Ruh’.

Vier Bretter sah ich fallen,
Mir ward’s ums Herze schwer,
Ein Wörtlein wollt’ ich lallen,
Da ging das Rad nicht mehr.
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Poem: Gefunden by Goethe

Tiergarten, Berlin. Photo by Scarlett Messenger
Tiergarten, Berlin. Photo by Scarlett Messenger

Gefunden
Johann Wolfgang von Goethe

Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich
Ein Blümchen stehn,
Wie Sterne leuchtend
Wie Äuglein schön.

Ich wollt es brechen,
Da sagt’ es fein:
Soll ich zum Welken,
Gebrochen sein?

Ich grubs mit allen
Den Würzeln aus,
Zum Garten trug ichs
Am hübschen Haus.

Und pflanzt es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.
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Poem: Die zwei Wurzeln by Morgenstern

Volkspark am Weinbergsweg, Berlin. Photo by Scarlett Messenger
Volkspark am Weinbergsweg, Berlin. Photo by Scarlett Messenger

Die zwei Wurzeln

Zwei Tannenwurzeln groß und alt
unterhalten sich im Wald.

Was droben in den Wipfeln rauscht,
das wird hier unten ausgetauscht.

Ein altes Eichhorn sitzt dabei
und strickt wohl Strümpfe für die zwei.

Die eine sagt: knig. Die andre sagt: knag.
Das ist genug für einen Tag.

Christian Morgenstern
(1871 – 1914), German writer, playwright, journalist and translator Continue reading Poem: Die zwei Wurzeln by Morgenstern